Rede aus der Stadtverordnetenversammlung von Eva Koch zur Umweltzone

von fraktion

Rede zum Antrag Umweltzone, Stadtverordnetenversammlung 06.11.2017, Eva Koch

 

Sehr geehrte Frau Vorsteherin, sehr geehrte Damen und Herren,

Luftbelastungen an Straßen stellen ein erhebliches Gesundheitsrisiko dar. Die Zahlen sind bekannt. Wir reden bundesweit über viele tausende Erkrankungen und hunderte von Todesfällen pro Jahr. Nach Berechnungen der europäischen Umweltagentur von 2012 sind Luftbelastungen durch Schadstoffe für 10.400 Tote jährlich in ganz Deutschland verantwortlich. Hochgerechnet auf Kassel sind das etwa 26 Tote pro Jahr. Merke, die Unfalltoten aus dem Autoverkehr sind in diesen 26 Todesfällen noch gar nicht enthalten. Und es ist kein drohendes Potenzial, das sind reale und belegbare Zahlen.

Stellen wir uns vor, es gäbe mitten in Kassel einen Industriebetrieb, der die Luft so verschmutzt, dass im Umkreis jährlich 26 Menschen sterben. Stellen wir uns vor, in Kassel würde jährlich ein Straßenbahnunglück mit 26 Toten passieren – es würde wohl niemand mehr in die Bahn einsteigen.

 

So geht es nicht weiter. Dieser Zustand ist unerträglich und unhaltbar. Verbesserungen sind überfällig, wie es in der Begründung zu ihrem Antrag ganz richtig steht. Deshalb gibt es auch völlig zu Recht gesetzliche Regelungen, die sagen, es muss jetzt etwas passieren. Luftschadstoffe sind dabei nur ein Aspekt, hinzu kommt Lärm, der ebenso krank macht. Hinzu kommt die allgemeine Lebensqualität in der Stadt, die auch durch den ruhenden Verkehr erheblich beeinflusst wird. Straßen und Plätze wirken nicht als Freiräume und grüne Erholungsfläche für Menschen sondern als Abstellraum für die Autos, das ist nicht schön.

Und es kommt ein sozialer Aspekt hinzu, der in Ansätzen in Ihrer Begründung genannt ist. Viele Menschen haben kein Auto, alle Kasseler Kinder, alle Kasseler Jugendlichen. Viele ältere Menschen, die sich nicht mehr sicher fühlen oder gesundheitlich nicht mehr in der Lage sind, Auto zu fahren. Und: viele Menschen, die sich ein Auto schlicht nicht leisten können! Dazu gehören alle, die Grundleistungen in Form von Hartz IV beziehen. Die leben dann häufig noch dort, wo die Mieten niedrig und die Umweltbelastungen durch den Verkehr besonders hoch sind, wie am Wesertor oder in der Nordstadt.

Geradezu zynisch wirkt da die Bemerkung eines Sozialdemokraten aus unserer Runde in einem Gesprächskreis zum Thema Verkehr, ihm sei es doch nicht zuzumuten, Einkaufstüten nach dem Einkauf ohne Auto nach Hause zu schleppen. Ich kaufe häufig in einem Discounter in der Nordstadt ein, da tragen ganz viele Menschen ihre Einkäufe in Tüten zu Fuß oder mit der Bahn nach Hause. Deshalb finde ich, das sollte auch für ein Mitglied einer Partei, die das Wort sozial im Namen trägt vorstellbar sein!

Ich möchte, dass alle Menschen, die sich mit dem  Auto durch die Stadt Kassel bewegen, sich dieser Tatsachen bewusst sind.

Ich möchte, dass der Vater oder die Mutter, die ihre Kinder mit dem Auto, am besten noch mit einem SUV zur Schule bringt, sich dessen bewusst ist: Sie nehmen uns die Luft zum Atmen, sie lärmen uns voll, parken am besten noch den Bürgersteig zu. Und sie zeigen ihren Kindern einen Weg auf, wie man zum zivilisationskranken, übergewichtigen Mitbürger wird, der schon auf dem Weg von der Haustür zur Doppelgarage außer Atem ist.

 

So kann es nicht weitergehen!

 

Und wenn ich diese Anzeige aus der HNA-Wochenendbeilage sehe: „Keine Kompromisse .. die neue X-Klasse“ [Werbeanzeige für den neuen Mercedes-Benz Pickup X-Klasse] mit
207g CO2 pro gefahrenem km, da gehört ein Warnhinweis drauf wie auf jede Zigarettenschachtel: Dieses Auto gefährdet Ihre Gesundheit!

 

Wir brauchen dringend eine Verkehrswende. Wir brauchen die lebenswerte Stadt für Menschen, eine Stadt, die ruhig ist, ohne Verkehrslärm, in der wir gesunde Luft atmen und uns auf Straßen und Plätzen sicher aufhalten und bewegen können. Wir brauchen ein ganzes Maßnahmenbündel und auch restriktive Maßnahmen gehören dazu. Wir brauchen die blaue Plakette und wir brauchen vor allem eine Autoindustrie, die sich an Regeln hält und nicht mit krimineller Energie unsere Gesundheit schädigt, und die sich darüber hinaus bei nötigen Innovationen noch von einem Unternehmen wie DHL vorführen lässt, das selber den elektrischen Street Scooter baut, eine absolute Oberblamage für die Herren und Damen aus Wolfsburg und anderswo.

Solange die Plaketten die Einhaltung von Abgaswerten nur suggerieren, hilft uns die Umweltzone leider wenig. Die Feinstaubproblematik, für die sie ursprünglich gedacht war, ist nicht mehr das entscheidende Thema, sondern die Stickoxide.

Deshalb werden wir ihn den Antrag ablehnen, weil er nicht mehr dem aktuellen Diskussionsstand entspricht. Das hat die Linke selbst auch gemerkt, und noch einige Punkte hinten drangeklatscht, die ihnen gerade so eingefallen sind. Wir können das gerne im Ausschuss diskutieren, aber nicht unter der Überschrift „Umweltzone“ an einen Antrag angehängt, ohne dass ein inhaltlicher Zusammenhang besteht. Konzentrieren wir uns auf die Verkehrswende in Kassel, auf ein Fußwegekonzept, sichere Überwege, einen guten ÖPNV, mehr und sichere Radwege und vieles mehr.

 

Der Autoverkehr kann und wird nicht mehr das Maß der Dinge sein. Davon werden wir uns verabschieden, auch wenn das für den einen oder anderen schmerzhaft sein mag – auch bei uns Grünen.

Durch eine kommunale Verkehrswende gibt es eine großartige Chance, Kassel zu einer noch schöneren und lebenswerteren Stadt zu machen, wir machen uns gerne dorthin auf den Weg.

Vielen Dank!

 

 

 

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